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Meetings finden in der Regel statt, um sich abzustimmen, Entscheidungen zu treffen oder Entscheidungsgrundlagen zu erarbeiten, Informationen auszutauschen oder Feedback zu Ideen einzuholen. So die Theorie. Allerdings zeigt die Praxis (und meine Erfahrungen), dass dies nicht immer der Fall ist. Neben den Primärzielen von Meetings, die einsehbar und offensichtlich sind, gibt es einige verdeckte, manchmal unbewusste Ziele von Meetings. Zu einer Herausforderung wird dies dann, wenn die Übereinkunft über den Zweck und die Ziele von Meetings fehlt. Schließlich kann das, was für den einen Mitarbeiter eine willkommene Abwechslung darstellt, für den anderen eine reine Zeitverschwendung sein.

1. Sozialer Austausch sticht geschäftliche Themen

Meetings helfen einerseits dabei, persönliche Beziehungen zwischen Kollegen zu stärken. Dies kann die Teamdynamik verbessern. Die Kehrseite: Seitdem sich Kollg*innen seltener an der Bürokaffeemaschine treffen und mehr Zeit in Online-Meetings verbringen, vermischt sich der persönliche Austausch immer häufiger mit der Abstimmung zu geschäftlichen Themen. Dadurch werden Meetings oft länger und weniger effektiv, weil die eigentlichen Prioritäten nicht mehr im Fokus stehen. Da der  soziale Austausch meist als angenehm empfunden wird, ändert sich der Charakter des Meetings nicht, auch wenn es nicht direkt zur Lösung von Arbeitsaufgaben beiträgt. (Und man fragt sich am Ende des Arbeitstages , warum man nichts geschafft hat.)

2. Statuspräsentation und Selbstdarstellung

Wer im Meeting wo sitzt und wer wie viel redet, spiegelt recht häufig mal mehr, mal weniger subtil die Hierarchien in Unternehmen wider. Meetings werden und sind oft eine Bühne für Statuspräsentation und Selbstdarstellung, auf der sich die Teilnehmer*innen mehr auf sich selbst als auf die tatsächlichen Inhalte konzentrieren. Das führt meist zu langen Diskussionen, die wenig nützlich sind. Es entwickelt sich ein Wettbewerb um Aufmerksamkeit, der die effektive Entscheidungsfindung beeinträchtigt. Die wirklichen Ziele des Meetings geraten in den Hintergrund. Während einige das Rampenlicht genießen, sind andere genervt oder schämen sich fremd.

Folgeproblem: Wenn Meetings vor allem dazu dienen, sich selbst darzustellen, führt zu einer Ungleichverteilung der Redezeit, wobei einig Teilnehmer*innen das Meeting dominieren, während andere quasi unsichtbar werden. Dennoch beobachte ich in meinem Arbeitsalltag als Trainerin recht häufig, dass sich diese Meetings nicht verändern – bis eine Moderationsrolle hinzukommt.

3. Der Wunsch nach Struktur (hat Nebenwirkungen)

In einer Arbeitswelt, die zunehmend von flexiblen Arbeitszeiten und -orten lebt, schaffen regelmäßige Meetings eine Struktur und einen Rhythmus, die den Arbeitsalltag gliedern. Einerseits. Denn genau diese strukturierende Funktion führt im Alltag oft paradoxerweise zu einer Zersplitterung des Arbeitstages – besonders dann, wenn Meetings ungünstig terminiert oder zu häufig angesetzt sind. Aus Struktur entsteht Starrheit, die flexible und dynamische Arbeitsprozesse ausbremst. Trotzdem bleibt der Wunsch nach Orientierung so stark, dass viele die Nebenwirkungen lange hinnehmen oder gar nicht erst hinterfragen.

4. Zugehörigkeit und Sinn – das Gegenteil von gut ist gut gemeint

Meetings geben nicht nur Struktur. Die Einbindung in Entscheidungsprozesse und Diskussionen kann das Zugehörigkeitsgefühl und die Arbeitsmotivation stärken. Einerseits. Andererseits: Das Bedürfnis, jeden und alle in Meetings einzubeziehen oder niemanden auszuschließen, kann dazu führen, dass Personen eingeladen werden, die wenig zum tatsächlichen Thema beitragen können (oder wollen). Je nach Unternehmenskultur entsteht bei den Mitarbeitenden stärker oder schwächer das Gefühl, ständig in Meetings sein zu müssen. Diese Praxis begegnet mir recht häufig und wird durch die Teilnehmer häufig erst in Frage gestellt, wenn ich meine Beobachtungen teile.

5. “Ich habe da eine tolle Idee, findet Ihr die super?”

Viele nutzen Meetings gern als Bühne – siehe Punkt 2. Dadurch entstehen Situationen, in denen Teilnehmende ihre Ideen präsentieren, auch wenn diese nicht zur aktuellen Agenda passen. Dabei geht es nicht nur darum, die Idee bewerten zu lassen. Menschen suchen soziale Resonanz – siehe Punkt 1 – und wünschen sich Sichtbarkeit und Anerkennung. Lob hebt die Stimmung und motiviert. Soweit so positiv. Doch dieser starke Fokus auf Feedback kann dazu führen, dass Meetings vor allem der Selbstdarstellung dienen – und nicht der gemeinsamen Lösung von Problemen. Wenn sich dieses Muster etabliert, verlieren Meetings oft an Tiefe. Denn der Wunsch nach Anerkennung verdrängt die Auseinandersetzung mit den eigentlichen Arbeitsinhalten.


6. Die Illusion von Kontrolle

Meetings vermitteln so wunderbar das Gefühl, man habe alles im Griff und unter Kontrolle. Je mehr Meetings und je mehr Teilnehmer*innen – desto größer das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle. Vor allem bei Führungskräften in großen Unternehmen ist diese Denkweise verbreitet. Das Problem: Menschen, die sich sicher fühlen, denken und fragen weniger nach; sie handeln außerdem weniger pro-aktiv. Warum ist das so? Weil angenommen wird, dass alle relevanten Informationen bekannt sind,  wird weniger analysiert und in Frage gestellt.
Zusammengefasst: Durch das regelmäßige Zusammenkommen und den Austausch von Informationen entsteht oft das beruhigende Gefühl, über alle wesentlichen Themen informiert zu sein und deshalb haben viele Meetings weiter Bestand. 


7. Veränderung ist anstrengend und birgt Risiken

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Es gibt viele Studien darüber, dass wir Gewohntes gern beibehalten, auch wenn es ungesund, nervig, anstrengend oder schmerzhaft ist. Denn: das Gewohnte kennen wir und haben gelernt, damit umzugehen – selbst wenn es unangenehm ist. Etwas Neues auszuprobieren birgt Risiken: es ist schwerer bis gar nicht einzuschätzen, es bedeutet neuen/zusätzlichen Aufwand, man könnte scheitern oder zumindest verlieren.
Dann bleibt man doch lieber bei dem, was man kennt und handhaben kann Und so findet man sich u.a.  immer wieder in den gleichen unproduktiven Meetings wieder (und schreibt nebenbei Mails oder arbeitet an etwas anderem).

8. “Wenn ich nichts sage, schmeckt’s”

In vielen Unternehmen gibt es eine Qualitätssicherung und -prüfung der Dienstleistungen oder Produkte. Für Meetings gibt es das sehr häufig nicht. Da am Ende von Meetings nur sehr selten bis gar nicht gefragt wird: “War dieses Meeting gut investierte Zeit für alle?”, wird so gut wie nie über die Qualität von Meetings gesprochen. Bzw. es wird davon ausgegangen, dass, solange niemand aktiv “meckert”, es wohl für alle ok ist.

 “Das haben wir schon immer so gemacht”-Routinen durchbrechen

Leider existiert kein Patentrezept, um schlechte Meetingroutinen auf einen Schlag zu verändern. Doch viele kleine Stellschrauben lassen sich drehen – vorausgesetzt, man bringt den Willen dazu mit.

Zunächst braucht es den Wunsch nach Veränderung – idealerweise von allen, zumindest aber von einigen Meetingteilnehmenden. In meiner Rolle als externe Trainerin und Moderatorin habe ich bereits viele Meetings erlebt, die ich als unproduktiv, unstrukturiert und wenig zielführend wahrgenommen habe. Als ich diese Beobachtung zurückspiegelte – ich war in der Einarbeitungsphase als externe Begleitung dabei – reagierten die Teilnehmenden oft überrascht: „Wieso? Das Meeting ist doch super, wie es ist.“ Eine Reaktion, die darauf hindeutet, dass möglicherweise Sekundärziele im Spiel sind.

Wenn ein Team wirklich aus alten Meetingstrukturen ausbrechen will, kann es schrittweise folgende Maßnahmen umsetzen:

  • Meetings, die unproduktiv wirken, aktiv hinterfragen: Nicht einfach „aushalten“, sondern Feedback einholen – geht es anderen genauso?
  • Klarheit über eigene Rolle schaffen: Nachfragen, welchen Beitrag oder welche Expertise das Team konkret erwartet.
  • Zweck sichtbar machen: Offenlegen, welchem Ziel das Meeting aktuell dient – und gemeinsam entscheiden, ob dieser Zweck weiterhin relevant ist.
  • Ziel und Agenda vorab festlegen: Vor dem Meeting kommunizieren – nicht erst währenddessen.
  • Teilnehmerzahl reduzieren: Nur Personen einladen, die wirklich zum Thema beitragen.
  • Meetings aufzeichnen und bereitstellen: So bleiben alle informiert, auch ohne Teilnahme.
  • Moderation einführen: Am besten im Wechsel – so bleibt die Verantwortung verteilt.
  • Zeit klar begrenzen: Timeboxing durch Moderation hilft, fokussiert zu bleiben.
  • Regelmäßiges Feedback integrieren: Nach jedem Meeting kurz reflektieren – was lief gut, was lässt sich verbessern?
  • No-Meeting-Zeiten etablieren: Bewusste Phasen ohne Besprechungen schaffen Raum für konzentriertes Arbeiten.

Kahlschlag im Kalender mit Kill all Meetings Experiment

Wer radikaler vorgehen möchte, kann für eine oder zwei Wochen das Experiment “kill all meetings” starten und den eigenen Kalender und ggf. auch den Teamkalender gnadenlos leerräumen. Bei diesem Experiment merkt man recht schnell, an welchen Stellen Austausch fehlt – und wo er nicht erforderlich ist.

Ein anderer möglicher Startpunkt ist, sich zu fragen, welche Meetings oder -zusammenfassungen man benötigt, wenn man aus einem dreiwöchigen Urlaub an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Auch die umgekehrte Frage kann spannend sein: auf welche Meeting-Teilnahmen und -zusammenfassungen kann ich drei Wochen verzichten und bin auch nach meiner Abwesenheit noch arbeitsfähig?

Eine stark gekürzte Fassung dieses Artikels erschien zuerst in der Süddeutschen Zeitung.